Von altem Schrot und Korn

Das war der Opa Degenhardf,
der mit dem Hinweis nicht gespart,
daß man sich trennt von manchem Ding,
weil man es achtet nur gering,
obwohl‘s noch zu gebrauchen war;
und hielt bestimmt noch ein paar Jahr.

Ganz anders war da seine Frau.
Die nahm‘s nicht immer so genau
und kaufte neu, warf auch was weg;
der Opa gleich bekam ‘nen Schreck
und sich die schütt‘ren Haare rauft:
„Schon wieder hast du neu gekauft!“

Als er dann plötzlich Witwer war
(auf seinem Kopf wuchs kaum noch Haar)
da gab es nun nichts mehr zu raufen
und außerdem auch nichts zu kaufen.
Er sammelte nun emsig dann
all das, was man gebrauchen kann.

Die Freunde waren längst entfloh‘n.
Sie kannten die Marotten schon
und es tat sie mächtig stören,
Vorträge ständig anzuhören:
„Wirf das nicht weg, das ist nur angerostet,
schließlich hat das alles einmal Geld gekostet.“

„Das kann man kleben, ja das hält,
und kostet nicht schon wieder Geld.“
Ein hohes Alter ward hinieden
dem Degenhardte noch beschieden;
und endlich aus Amerika
die Tochter kam, und nach ihm sah.

Wie sah‘s jedoch in seinem Haus
und auch in seinem Garten aus!
Flaschen, Gläser, Schachteln, Kisten
fortgeschafft nun werden müßten.
Prospekte, Zeitungen, Journale;
vollgestopft sind die Regale.

Degenhardt verzweifelt jammert
und an allem fest sich klammert.
Tochter Ruth energisch spricht:
“Nein Papa, das brauchst Du nicht“
Nicht ein Glas geht hier retour.
Alles holt die Müllabfuhr.

Blitzeblank das ganze Haus.
der Garten sieht manierlich aus.
Ach, so eine Sammelwut
tut nicht in jedem Falle gut.
Das Haus verkauft, und der Papa
flog nun mit nach Amerika.

Wo‘s nahebei ‘nen Schrottplatz hatte
und hin und wieder sich der Gatte
da Autoteile ging besorgen.
Da konnte man ab Montagmorgen
mal etwas bringen, etwas holen
und brachte also ganz verstohlen

den Opa dorthin aufs Gelände.
Der schlug begeistert in die Hände
und fing entzückt zu räumen an:
„Weil man‘s ja mal gebrauchen kann.“
Aufgeblüht, gesund und rüstig,
stillvergnügt, gescheit und llistig

sortiert der Degenhardt die Teile.
Ich hoff‘, er tut‘s noch eine Weile.

Über hildegardlewi

... ist 1934 in Berlin geboren und sozusagen „Geprüfte Berlinerin“. Vorkriegsjahre, Kriegsjahre, Blockade, Nachkriegsjahre, die Zeit der Mauer und die Zeit nach ihrem Fall. Lange Berufsjahre, drei Kinder, drei Enkelkinder, die Begegnungen mit vielen unterschiedlichen Menschen und schließlich die Wiedervereinigung, das sind viele ernste – und weniger ernste Geschichten. Manche Leute führen ein Tagebuch. Ihr Tagebuch sind Gedichte. Die ihr spontan aus dem Kopf über die Lippen purzeln und die sie dann schnell einfängt und aufschreibt. Nachdenkliche, sicher, die meisten aber sind zum Lachen. Wie sonst könnte man dies schrecklich schöne Leben aushalten? Viel Vergnügen
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